Atlus – ein Überblick

A tale of two companies.

Catherine ist einer der erfolgreichsten Gamelaunches der Spieleschmiede Atlus. Die Verkaufszahlen sind nicht nur in Japan hoch, sondern auch, mit 200.00 verkauften Exemplaren allein in der ersten Woche, in Amerika. Persona 5 toppt das Ganze mit 330.00 Spielen in der ersten Woche und einer Endjahresbilanz von über 2 Millionen verkauften Exemplaren.

Für andere Entwickler mag das nichts ungewöhnliches sein, doch für Atlus wird gerade eines der erfolgreichsten Kapitel ihrer Firmengeschichte aufgeschlagen. Für Amerika und Europa sind sie eher ein Nischenentwickler mit einem preisgekrönten Portfolio: Darunter mit Spieletiteln wie Shin Megami Tensei, dessen Spin-Off Persona, Trauma Center und natürlich Catherine.

Atlus Japan – from Purikura to Catherine.

Atlus gehört zu jenen Entwicklern/Publishern, die neben einer beeindruckenden Gamereleaseliste auch eine bewegte dreißigjährige Firmengeschichte haben. Mitte der Achtziger wurde Atlus in Japan gegründet. Wie zu diesen Zeiten nicht unüblich, vertrieb Atlus Unterhaltungstechnik – neben Karaokequipment diverse andere Automaten, wie z.B. die gemeinsam mit Sega entwickelte erste Purikura-Maschine Mitte der Neunziger.

 (Purikura-Automaten sind Fotokabinen, die kleine, selbstklebende Fotos herstellen, die man bei der Aufnahme mit vordefinierten Bildern dekorieren kann.)

Anfangs arbeitet Atlus mehrheitlich für andere Entwickler. Doch stetig fangen sie auch an eigene Titel zu veröffentlichen. Ihr erster eigener Spieletitel Puzzleboy auf dem Gameboy kommt Ende der Achtziger auf den Markt. 

Anfang der Neunziger steigen sie in den Arcademarkt ein und entwickeln unter anderem ihren ersten Arcade Titel BlaZeon. Zudem wird Atlus Dream Entertainment Co., Ltd in den USA gegründet. Anfang der 2000er sieht sich Atlus gezwungen das Unternehmen umzustrukturieren, da sie in den Jahren zuvor ein erhebliches Defizit erlitten hatten.

Kurz vor der Fertigstellung von Persona 4 beginnt 2008 die Entwicklung von Catherine. Ein Titel mit dem sie an mehreren Fronten Neuland betreten, welches aber das Fundament für ihren späteren Erfolg außerhalb Japans legt. Ein Spiel, das ausschließlich nicht nur thematisch an Erwachsene gerichtet ist, gab es in ihrem Portfolio vorher nicht. Auch technisch stoßen sie mit Catherine in neue Gebiete vor – es ist ihr erster Titel für HD-Konsolen. Die Animationen werden ambitionierter: während die Cutscenes in ihren vorherigen Spielen nie eine halbe Stunde überschritten, arbeiten sie mit Studio 4°C ein Jahr lang an dem über einstündigen Material.

Catherine – A Long unfamiliar road.

Die Schlüsselfiguren im Entwicklerteam sind alles Veteranen der Personareihe, jedoch liegt Catherine außerhalb ihres gewohnten Komfortbereichs Rollenspiele.  Es ist der Versuch etwas völlig Neues zu kreieren. Die Actionpuzzlermechanik war schon Jahre zuvor als Liebhaberprojekt eines Atlus-Entwicklers entstanden, technisch aber zur damaligen Zeit nicht mit den vorhandenen Mitteln umsetzbar. Die Adventure-Elemente werden bewusst als Gegensatz zum üblichen RPG-Storytelling eingesetzt, um die Bandbreite des Entwicklerstudios zu erweitern.

Auch die Protagonisten sind um einiges älter als gewohnt. Während die meisten vorherigen Spiele die goldenen Zeiten der Jugend glorifizieren, setzt sich Catherine bewusst mit den Irrungen und Wirrungen des Erwachsenenalters auseinander. Die Identifikationsfaktoren eines Highschoolszenarios sind hoch, egal wie alt oder jung die Spielerschaft ist. Das sieht aber bei unterschiedlichen Lebensentwürfen ab Dreißig anders aus. Es gibt keinen allgemeingültigen Rahmen mehr, der alle auffängt. Dennoch kommen die meisten Menschen nicht umhin zu akzeptieren, dass Liebe, Hochzeit und Beziehungen je älter man wird, eine umso größere Rolle in den verschiedensten Bereichen des Lebens spielen.

Genau dort setzt die Story und das Setting von Catherine an. Mit dem Protagonisten Vincent sollte der Charakter eines „Sexy Losers“ in den Dreißigern geschaffen werden. Dem äußeren Anschein nach hat er mit seiner Beziehung den Jackpot geknackt: Katherine ist schön, heiratswillig und erfolgreich. Doch die Fassade bröckelt, als die junge Catherine auf den Plan tritt – als Gegenentwurf zu der Verantwortung seiner Beziehung aber auch als fleischgewordener Männertraum eines Mittdreißigers oder Mittvierzigers. Dieses Szenario ist keineswegs ungewöhnlich, gerade wenn man das Medium Film oder Serien betrachtet. An eine spielerische Umsetzung hatte sich bisher jedoch kein anderes Entwicklerstudio vorher gewagt. Umso wichtiger war es, die Charaktere im Spiel so real wie möglich erscheinen zu lassen. Dafür konsultierten die Entwickler ihre eigenen Erfahrungen und die ihres Umfelds. Besonders um der Thematik des Liebesdreiecks zwischen Vince, Catherine und Katherine Leben einzuhauchen.

Kurz vor der Fertigstellung von Catherine wird Atlus 2010 von Index Holdings über Aktienanteile aufgekauft und damit als Firma aufgelöst. Catherine wird trotzdessen ein Erfolg und glücklicherweise bleibt die Marke Atlus als Promortionlabel erhalten.  Nach Ermittlungen wegen Betrugs musste 2013 Index Holdings Insolvenz anmelden.  Atlus ging danach an die Sega Sammy Holdings über, unter deren Dach sie bis heute äußerst erfolgreich arbeiten.

Atlus USA – Staying close to the original.

Wie schon erwähnt, wurde Atlus USA Anfang der Neunziger unter dem Namen Atlus Software von Atlus Co., Ltd gegründet, mit dem Gedanken, dass ein lokales Unternehmen und dessen Infrastruktur in den USA für die Portierungen und den Erfolg im Westen von Vorteil sei. Aber auch Titel von anderen Atlus-unabhängigen japanischen Entwicklern wurden von Atlus USA für den internationalen Markt lokalisiert. Unter anderem von Quest (Ogre Battle, Tactics Ogre), Nippon Ichi Software (Disgaea: Hour of Darkness ), FromSoftware (Demon Souls), ACE Team (Abyss Odysee, Rock of Ages).

Nach Startschwierigkeiten bildete Mitte der Neunziger Persona den Anfang der Erfolgsgeschichte von Atlus USA Revelations. Der erste Teil der Subseries von Megami Tensei, welches Atlus in Japan schon berühmt gemacht hatte. Warum Persona und nicht die schon erfolgreiche Megami Tensei Reihe? Die religiöse Symbolik der Hauptserie ist den potientiellen Publishern ein Dorn im Auge. Was die Entscheidung vereinfacht, da Revelations keine dieser Symboliken enthält. Wahrscheinlich wird auch der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass sie sich mit diesem Titel auf dem Markt etablieren wollten.

Mit dem Release von Persona 2: Eternal Punishment findet Ende der Neunziger Atlus USA seine Firmenprämisse, der sie bis heute treu bleiben. Diese Prämisse lautet, so nah am japanischen Kontext wie möglich zu arbeiten, nur etwas zu ändern wenn es wirklich notwendig ist. Der Inhalt der jeweiligen Spiele wird zuerst (die sogenannte „familiarization“) dem Teamleiter des Projekts in Originalfassung zugänglich gemacht, erst danach beginnt die wirkliche Portierung.  Neben Lippensynchronisation für den westlichen Markt arbeiten sie, wie ihre Mutterfirma mit professionelle Synchronsprecher zusammen und versuchen diese auch bei bei wiederkehrenden Charakteren in verschiedenen Titeln zu erhalten.

Diese professionelle Arbeitsweise unterscheidet Atlus von früheren und leider auch heutigen Portierern deutlich. Oft wurde zugunsten der Identifizierung für den westlichen Markt bei der Übersetzung verschiedenster Medien aus dem Japanischen gerne z.B. Ramen mit der Erbsensuppe ersetzt (Shin Chan, Animeserie 1992- ongoing). Die Synchronsprecher der Hauptcharaktere wechseln von einer Staffel zu anderen (Pokemon oder Sailormoon). Bei Phoenix Wright: Ace Attorney − Justice for All (2002, Gameboy Advance) wird die Haupthandlung an einen gänzlich anderen Kontinent verlegt (von Japan in die USA). Unter diesen „Anpassungen“ leidet nicht nur die Glaubwürdigkeit des Mediums, sondern auch die qualitative Erfahrung der Narrativen.

Catherine– Between holding the line and improvisation.

Catherine wurde ebenfalls von Atlus USA portiert. Im Vergleich zu vorherigen Titeln, in denen die japanische Kultur im Vordergrund stand, setzte Catherine auf ein amerikanisiertes Setting.

Innerhalb der Portierung bzw. des Lokalisierungprozesses stößt das Team auf unterschiedliche Problematiken, so galt es beispielsweise nicht unbedingt wortgetreu zu übersetzen, sondern eher die Bedeutung des Dialogs, authentisch umzusetzen.

Ein anderes Problem sind die Zitate der Ladebildschirme gewesen. Zwar waren sie alle aus einem bekannten japanischen Zitatbuch, aber es gab weder Angaben zum Autor, noch funktionierten sie übersetzt ins Englische wirklich. Was das Team zur Entscheidung bewog gänzlich neue Zitate einzufügen, um sich nicht mit der Identifizierung der Autoren und der Übersetzung aufzuhalten. Einen deutlichen Vorteil für den Arbeitsprozess sahen die Portierer im Gegensatz zu anderen Titeln im Setting, das den Identifikationsfaktor und das Verständnis für die Charaktere im Vergleich zu dem üblichen Fantasyszenario erheblich erhöhte.

Die Synchronsprecher waren für Atlus keine Unbekannten – sie hatten größtenteils an anderen Projekten wie Persona 3 von Atlus mitgewirkt. Da die japanische und englische Synchronisation zeitgleich abliefen, gab es für die Sprecher nicht immer die Möglichkeit, einen Eindruck von der Stimmung und Atmosphäre zu gewinnen. Um ihrer Prämisse zum Realismus treu zu bleiben, wurden exakte Skripts mit Sprecheinsätzen und Pausen von Atlus ausgearbeitet, die mit den Animationen um 0.2 Sekunden übereinstimmen mussten. Auch hier wurde die Lippenbewegungen für manche Cutscenes aufs Englische angepasst, um eine natürliche Anmutung zu erzielen. Im Vergleich zum japanischen Anime waren die englischen Performances zurückhaltender und weniger stilisiert. Dennoch wurden den Sprechern auch Freiräume gelassen ihre Rolle auszuspielen. Ein Beispiel dafür ist der Streit zwischen Catherine und Katherine der größtenteils improvisiert wurde.

Auch die Zweigstelle in den USA war von den Umstrukturierungen der japanischen Mutterfirma betroffen. Die offensichtlichste Folge der Verschmelzung mit Index Holdings war eine zeitweilige Namensänderung zu Index Digital Media. Nach der Übernahme von Sega erhielten sie ihren alten Namen zurück, stehen seit dem aber unter der Verwaltung von Sega of America. Trotzdem arbeiten Sega und Atlus als getrennte Unternehmeneinheiten, d.h. alle Atlus Franchises blieben der Marke Atlus erhalten.

Ende gut alles gut? Einen kleinen Wermutstropfen gab es vor 2017 aber noch, denn nach unzähligen Lokalisierungen und Veröffentlichungen für alle wichtigen Konsolen und PC wie Arcana Heart2, Etrian Odyssey III, Radiant Historia, Persona 1-5 aber auch Titeln wie Mahjong Cub3d oder 101-in-1 Sports Party Megamix, lief der Vertrieb und die Veröffentlichung in Europa immer noch über Dritte. Wie z.B. Nippon Ichi Software, Deep Silver und NIS America, was bekannterweise den Veröffentlichungstermin um Wochen manchmal gar Monate verzögerte. Um dem entgegenzuwirken, gab Atlus 2017 bekannt nun die eine europäische Vertriebsabteilung zu eröffnen, deren Sitz in Sega Europe‘s Räumlichkeiten in London ist.

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018