Christentum?!

Das Christentum hat in Japan als praktizierte Religion mit nur etwa 1% gläubigen Christen unter der Bevölkerung keinen hohen Stand, in der Popkultur sind dessen Bräuche und der christliche Kanon dennoch relativ weit verbreitet. Dies spiegelt sich einerseits im Feiern von christlichen Festen, wie Weihnachten und Valentinstag, als auch in der Ausrichtung von Hochzeiten nach christlichen Bräuchen wieder. Dies geschieht jedoch in aller Regel nicht aus religiöser Überzeugung, sondern vielmehr aus einer Übertragung der Werte und einer Kommerzialisierung der Feierlichkeiten.

Andererseits findet vor allem in der Anime- und Manga-Szene – auf der Spiele wie Catherine basieren – der christliche Kanon, ähnlich wie die Kanons anderer westlicher Religionen, starke Verbreitung. Hauptgrund hierfür scheint eine starke Romantisierung, gerade des Christentums, aber auch eine Mystifizierung dessen zu sein. Ähnliches spiegelt sich auch in der Verwendung von europäischen Sprachen wie Latein und Deutsch wieder, beide werden in der japanischen Popkultur als mystisch klingend empfunden, so werden beispielsweise häufig deutsche Begriffe genutzt um Zaubersprüche oder rituelle Formeln auszudrücken.

Auf ähnliche Weise funktioniert der Einsatz von christlichen Elementen im Storytelling von Catherine. Was für den westlichen Betrachter absurd – da gewohnt – erscheint, ist wohl für den japanischen Spieler eine mystische Szenerie, gerade was die Verwendung von Symbolen oder auch typisch christlicher Architektur angeht. Ebenso ist die musikalische Untermalung oft mit christliche Motiven durchsetzt, Glockengeläut, Chöre und Orgelmusik dienen der akustischen Mystifizierung der Spielwelt. Begründet werden kann dies durch die starken Unterschiede zwischen dem Christentum und dem fast ausschließlich in Japan verbreiteten Shintoismus. Die Vorstellung eines einzelnen, allmächtigen Gottes wie ihn die Christen verehren, stellt einen so krassen Gegensatz zum Polytheismus des Shintoismus dar, dass das Christentum als etwas Fremdes empfunden wird, ähnlich wie der Shintoismus auf viele Europäer wirken dürfte.

Besonders betrachtet werden sollte daher die Art und Weise wie diese christlichen Elemente im Spiel eingesetzt werden. Hierbei gibt es vor allem drei Elemente die am deutlichsten hervortreten.

Das auffallendste Element, dürfte wohl der Beichtstuhl sein, welcher am Ende jedes Spielabschnitts als Überleitung zum nächsten Abschnitt dient. Rein äußerlich handelt es sich unverkennbar um einen typischen Beichtstuhl wie er in den meisten katholischen Kirchen zu finden ist, auf dessen Dach ein kleiner Engel sitzt, welcher den Hauptcharakter mitsamt Beichtstuhl später in den nächsten Abschnitt fliegt. Der Spieler wird hier mit einem Fortschritt in der Story konfrontiert, dies geschieht jedoch auf einer Art moralischen Ebene, so wird dem Spieler stets eine Frage gestellt, zu der es zwei mögliche Antworten gibt. Die Fragen haben einen moralischen Hintergrund, welcher indirekt auf die Beziehung zwischen dem Hauptcharakter und seiner Freundin anspielt, wobei sich die Entscheidungen des Spielers auf eine Karmaanzeige auswirken.

Mit anwesend, während der Spieler die gestellte Frage zu beantworten hat, ist eine scheinbar Körperlose und unbekannte Person, diese dient im Beichtstuhl als eine Art Beichtvater, scheint viel über den Hauptcharakter zu wissen, jedoch nicht direkt über diesen zu urteilen. So scheint es, dass bei den Entwicklern von Catherine die katholische Kirche als moralische Instanz wahrgenommen wird und diese Wahrnehmung auf das Spiel übertragen wurde.

Ein weiteres genutztes Element, sind die Bezeichnung für die Spielabschnitte. Mehr oder weniger alle weisen hier direkt oder indirekt auf christliche Elemente hin. So dient der Spielabschnitt „Torture Chamber“ als Ort, wo jene gefoltert werden die ihren Partner betrogen haben, die Parallelen zur christlichen Hölle sind dabei offensichtlich.http://catherine.wikia.com/wiki/Inquisition?file=Catherine_Inquisition.jpg

Auf „Torture Chamber“ folgt der Spielabschnitt „Inquisition“, welche im europäischen Mittelalter als Instrument der Kirche diente Jagd auf Dissidenten, Sünder und Nichtchristen zu machen.

Hierauf folgt der Abschnitt „Quadrangle“, ein Begriff der im Englischen auch für einen rechteckigen Innenhof genutzt wird, wie man ihn häufig in Klöstern oder größeren Kirchen und Kathedralen findet. Somit wird auf ein typisches Merkmal der christlich-sakralen Architektur Bezug genommen.

Gleiches gilt auch für die darauf folgenden Abschnitte „Clock Tower“, dt. Glockenturm, „Spiral Corridor“, dt. Wendeltreppe, und „Cathedral“.

Der letzte Spielabschnitt „Empireo“, dt. Empyrion, stellt eine Besonderheit dar. Laut christlichem Kanon ist das Empyrion der Teil des Himmels in welchem sich der Thron Gottes befindet. Es ist somit das Allerheiligste des Christentums. Das Empyrion kann daher als Oberbegriff für den christlichen Himmel verstanden werden.

Die Besonderheit entsteht durch die Kombination aus „Torture Chamber“ als Sinnbild für die Hölle und dem Empyrion als Sinnbild für den Himmel. Im Verlauf seiner Reise kämpft sich der Hauptcharakter somit im übertragenen Sinne von der Hölle, hinauf in den Himmel, um seine Freundin bzw. seine Beziehung und damit sich selbst zu retten. Dies ähnelt stark der „Göttlichen Komödie“ von Dante Alighieri, in welcher der Hauptcharakter gezwungen ist eine Reise durch die Kreise der Hölle durchzustehen um seine Geliebte zu retten, eine der bedeutendsten Dichtungen der italienischen und christlichen Literatur des Spätmittelalters.

Ein drittes Element ist die Beziehung zwischen den verschiedenen Charakteren, vor allem zwischen Boss und den Bargästen, die wie Vincent in ihren Träumen in Schafe verwandelt werden. Der Name der Bar selbst „Stray Sheep“, dt. Streunende Schafe, weißt bereits auf das Schicksal ihrer Gäste hin, in Verbindung mit Boss als Barkeeper der auf alles ein Auge hat entsteht eine Art Hirte-Herde-Beziehung zwischen Boss und seinen Gästen. Boss bzw. sein Alter Ego Dumuzid, ist in der sumerischen Kultur als Hirtengott bekannt. Der abrahamitische Gott wie ihn auch das Christentum verehrt, ist aus der Folklore vieler mittelöstlicher Kulturen, wie eben auch der Sumerer entstanden und stellt quasi eine kulturelle Verschmelzung vieler

indigener Hauptgötter dar. So wundert es nicht das die Hirte-Herde-Beziehung auch im Christentum eine weitverbreitete Allegorie für die Beziehung zwischen Gott und Gläubigen ist. In diesem Sinne ist Dumuzid der Hirte, welcher über die buchstäblichen Schafe der Traumpassagen wacht. Somit ist Boss der als Auftraggeber Catherines die Männer zu bestimmen scheint, derer sie sich annimmt im übertragenen Sinne der allmächtige Gott und Entscheider über Leben und Tod.

© Hauke Hülsmann// Wintersemester 2017/2018