Typisch Japan!?

Darstellung von typischen Charaktereigenschaften in der japanischen Populärkultur

Catherine ist ein Spiel, dass mit seinem ungewöhnlichen Setting, abgedrehten Charakteren und einem innovativen Gameplay zu überzeugen weiß. Viele westliche Spiele würden diese ‚Abgedrehtheit‘ und Ungewöhnlichkeit wahrscheinlich als „typisch japanisch“ bezeichnen. Aber was genau lässt uns ein Spiel wie Catherine „japanisch“ erscheinen? Die Antwort liegt bei weitem tiefer, als nur im Animationsstil:

Datenbanktiere?

Azuma Hiroki beschreibt in seinem Buch „Otaku: Japan’s Database Animals“, dass japanische Medien wie Anime, Manga oder Spiele, nicht mehr auf eine Geschichte oder vermittelte Werte ausgelegt sind, sondern sich grundsätzlich auf bestimmte Eigenschaften von Charakteren in diesen Medien beschränken. Bezogen auf Catherine stände beispielsweise nicht die Geschichte des Spiels im Vordergrund, sondern, wie die Charaktere dargestellt sind. Was für Eigenschaften haben sie? Tragen sie Katzenöhrchen? Haben sie Schuluniformen an? Kommt ein bestimmter Charaktertyp im Spiel vor, wie zum Beispiel eine Tsundere[1] oder eine Kuudere[2]? Hiroki erklärt diese Werteverschiebung hauptsächlich durch die Modernisierung und Konsumkultur in Japan.[3] Mit diesem Leitfaden lohnt sich ein näherer Blick auf die wichtigsten Figuren von Catherine, um mehr über unsere Auffassung der Charaktere herauszufinden.[4]

Katherine McBride:

Katherine ist die Verlobte des Hauptcharakters Vincent Brooks. Sie hat kein allzu auffälliges Charakterdesign, keine Eigenschaften, die sie aus der Welt von Catherine besonders hervorheben könnten und nichts, was sie unmenschlich oder karikativ erscheinen lässt. Sie hat hellbraune Haare, eine sehr attraktive Figur, einen modischen, aber nicht allzu auffälligen Kleidungsstil und trägt eine Brille. Wenn man sich mit der japanischen Modekultur beschäftigt, fällt außerdem auf, dass ihr Kleidungsstil sehr westlich orientiert ist. Catherines Charakterdesigner Soejima Shigenori erklärt, dass er für das Design oft selbst in den Cafés von Tokyo saß, die Menschen um ihn herum beobachtete oder Modemagazine las. Er beschreibt, dass Kleidung oft ein Mittel dafür ist, einen Eindruck nach Außen hin vermitteln zu wollten. Den Eindruck, der bei Katherine entsteht, ist ein sehr konservativer, erwachsener und determinierter. Soejima beschreibt Katherine zudem als einen Pol der Vernunft und der Stabilität.

Der Kontrast zu dem Protagonisten Vince, der insgesamt sehr unentschlossen, nihilistisch aber gleichzeitig freigeistig rüberkommt, lässt Katherine für den ein oder anderen Zuschauer verklemmt und nicht allzu liebenswert wirken. Für andere Spieler vermittelt sie allerdings die Traumbraut – denn Ordnung, Kontrolle, Initiative und gleichzeitig ein attraktives Äußeres[5] erzeugen vor allem auf konservativer Ebene der japanischen Gesellschaft das perfekte Bild einer Ehefrau.

In Bezug auf Hiroki’s These ruft Katherine keine direkte Bindung zum Konsumenten hervor: Sie hat weder markante äußerliche noch charakteristische Eigenschaften, die sie hervorstechen lassen.[6] Ihre Rolle im Spiel und ihr Beitrag zur Handlung ist viel wichtiger als ihre Charakterdarstellung, was immens der These von Hiroki widerspricht. Übrigens einer der Aspekte, die stark für das Spiel sprechen, denn es bricht oftmals absichtlich die Stereotype der japanischen Popkultur und konzentriert sich vielmehr auf einen Realitätsbezug und die Herausarbeitung von realen Themen und Problemen der Gesellschaft.

Catherine:

Catherine ist das mysteriöse Mädchen, mit dem Vince nicht ganz beabsichtigt fremdgeht. Sie hat blonde Haare, markante Zöpfe, die mehr an Schafshörner erinnern, als an eine Frisur und ein sehr, sehr knappes, weißes Outfit. Sie ist das Ebenbild eines jungen, modischen Mädchens und steht absichtlich im Kontrast zum konservativen Familienbild. Solche jungen Frauen findet man oft in japanischen Modemagazinen: gefärbtes blondes Haar und helles Makeup erinnert an den Gyaru-Stil, welcher eine in den 90er Jahren entstandene Trendbewegung von Jugendlichen, die das etablierte Familien- und Berufsbild aktiv ablehnen, beschreibt.

Je nach Route, die der Spieler wählt, erfährt man kaum bis sehr wenig über Catherines Charakter oder ihre Hintergrundgeschichte. Die einzigen Charaktereigenschaften, die man ihr zuordnen könnte wären: sehr lebendig, jung, unabhängig und spaß-liebend. Catherine erinnert zudem an Animecharaktere, weil sie sich unreal und karikativ verhält. Ihre Haare sind ein markantes Merkmal und ihr Auftreten und Erscheinungsbild deuten darauf hin, dass sie mehr eine Männerphantasie darstellt, als ein realistisches Frauenbild. Dies wird zudem durch die freizügigen Bilder, die sie Vince zukommen lässt, verstärkt. (Spoiler!) Und auch die Tatsache, dass sie eine Succubus ist, bestärkt die Realitätsentfremdung. Dies erfährt der Spieler aber nur, wenn er sich für das Catherine Ende entscheidet. Nur in diesem Ende werden auch die Beweggründe und der Hintergrund von Catherines Rolle im Spiel deutlich. (/Spoiler)

Catherine passt also rundum in das Schema von Hiroki. Sie hat markante äußere Eigenschaften und fungiert nicht nur als Name, sondern auch oft als Werbefigur des Spiels. Dennoch trägt sie in erster Linie zu der Geschichte bei, statt nur als einzelnes Element im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem hat Catherine zumindest in einem Spielweg eine dreidimensionale Persönlichkeit, die im Spieluniversum ihrer eigenen Intention und Logik folgt.

Vincent Brooks:

Vincent Brooks, abgekürzt als „Vince“, ist der Protagonist von Catherine. Er ist kein typischer Held, er besitzt keinerlei Superkräfte, nicht einmal eine muskelbepackte Figur oder einen moralischen Kompass. Vince ist ein Typ mit einer Dauerwelle, einem relativ durchschnittlichen Kleidungsstil, keinen Karriereambitionen oder viel Geld. Er bewegt sich außerdem in einer sehr gebückten Körperhaltung, durch die er nicht gerade vor Selbstbewusstsein strotzt. Vince ist das, was man in Japan als „Grasfressermann“ bezeichnet. Er hat zwar eine Verlobte, aber keinerlei Intentionen eine Familie aufzubauen. Ganz im Gegenteil, er hat Angst davor eine feste Bindung in Form von Heirat einzugehen. Sein äußeres Erscheinungsbild ist durch seine Dauerwellen bzw. afroartigen Haare, seiner gebückten Haltung und dem Kissen plus den Boxershorts, die ihn in seinen Albträumen begleiten, gekennzeichnet. All diese Eigenschaften sind zwar markant, aber nicht allzu übertrieben. Vincent wirkt wie ein Videospielprotagonist, aber durch die Geschichte doch auch wie ein realer Mensch. Laut Soejima ist er nur dank der Einwände der weiblichen Mitarbeiterinnen des Atlus Teams sympathischer als anfänglich geplant.

So ist der Hauptcharakter nach Hiroki schon mit Merkmalen ausgestattet und beinhaltet keinen moralischen Kompass, an dem sich der Spieler orientieren sollte, aber seine Geschichte behandelt grundsätzlich die Konflikte, die durch seine Beziehungen und das „Erwachsen werden“ entstehen. Diese werden nicht durch einen komplexen Handlungsablauf, sondern durch die Erfahrungen und Gefühle, die Vince durchmacht, dargestellt.

Catherine schafft es die Charaktereigenschaften miteinzubeziehen, die die Hauptfiguren markant aussehen lassen und damit einprägsam machen. Es stellt aber die Geschichte deutlich in den Vordergrund. Das Spiel ist somit an Konsumenten japanischer Popkultur gerichtet, ohne dass es sich exakt an die karikativen Stereotype hält, sondern sie nur anreißt. Die Charaktere bleiben insgesamt real und nachvollziehbar. In der Hoffnung einen Transfereffekt zu erzielen und dem Spieler eine Erkenntnis mit in die Realität zu geben[7], schafft Catherine durch die Handlungen, die Geschichte und die Charaktere einen Kontext, oder vielmehr eine Welt, die der realen Welt sehr ähnelt.[8]

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018

 

Fußnoten:
[1] Tsundere: Wohl die bekannteste Darstellung unter japanischer Popkultur. Setzt sich aus den japanischen Worten „tsuntsun“ (schlecht gelaunt) und „deredere“ (flirtend, verliebt) zusammen und beschreibt einen meist weiblichen Charaktertyp in Spielen oder Anime, die der Person, an der sie eigentlich romantisches Interesse hat, sehr unsympathisch oder zickig gegenübersteht. Ihre Zuneigung zeigt sie meist indirekt oder nur wenn die zwei Charaktere unter sich sind.

[2] Kuudere: Setzt sich aus den japanischen Worten „kuuru“ (kalt) und „deredere“ (flirtend, verliebt) zusammen. Kuuderes sind ebenfalls meist weibliche Charaktere, die keinerlei Emotionen nach Außen zeigen. Allen charakteren gegenüber wirken sie schon fast autistisch, bis der Hauptcharakter oder ihr Love-Interest in Gefahr kommt. Erst dann offenbaren sie, dass sie doch Gefühle für jemanden hegen und generell sehr einfühlsam sind.

[3] Ob seine These stichfest ist, bleibt fraglich, weil sein Buch sehr theoretisch aufgebaut ist. Seine Ausführungen lassen sich trotzdem durchaus auf Charaktere aus der japanischen Populärkultur anwenden.

[4] Laut eigener Aussage des Charakterdesigners Soejima sind die Nebencharaktere zu eindimensional, weshalb wir hauptsächlich auf die Eigenschaften der Hauptcharaktere achten werden.

[5] Es mag stereotyp klingen, aber gerade die dunkle Haarfarbe vor allem im Konrast zu Catherine berwirkt nochmal ein „ideales Schönheitsbild“ von Katherine. Ich weiß nicht genau was es mit schwarzen Haaren auf sich hat (vielleicht Reinheit der Ethnie), aber Mädchen oder Frauen mit schwarzen, langen Haaren und weißer Haut sind in Japan ein hervorgehobenes Image der idealen Schönheit einer Frau.

[6] Weshalb für die Vermarktung des Spiels auch Catherine eindeutig im Mittelpunkt steht.

[7]  Was man gerade beim Spielen im Seminar sehr gut sehen konnte. Bei den Entscheidungen im Beichtstuhl zum Beispiel wurde fleißig diskutiert. Oft zwar eher über die Sinnhaftigkeit der vorgegebenen Auswahl („Hä das macht gar keinen Sinn, dass es ‚gut‘ ist, wenn man es bevorzugt auch mal Zeit für sich zu haben“), dennoch fand ein realer Dialog und eindeutig auch ein Transfereffekt in die Wirklichkeit statt.

[8] vgl. Interview mit dem Direktor Katsura Hashino https://www.youtube.com/watch?v=6B8z8LOQxxg