Im zweiten Teil der Zero Escape-Serie begleiten die Spielenden Sigma, einen Studenten, der entführt und mit acht weiteren Personen gemeinsam in einer riesigen Halle eingesperrt wurde. Auch hier werden die Charaktere von einem Unbekannten, der sich „Zero“ nennt, gezwungen, das „Nonary Game“ zu spielen. In diesem müssen die Charaktere in einem Spiel aus Betrug und Vertrauen, welches sich an dem Gedankenexperiment Gefangenendilemma orientiert, Punkte sammeln, um die 9. Tür zu öffnen und der Gefangenschaft zu entkommen. Auch müssen im Verlauf weitere Türen geöffnet und die dahinterliegenden Escape Rooms verlassen werden, um voranzukommen. Ziel ist das Entkommen aus der Halle und das Aufdecken der Identität und der Motive von „Zero“. Zudem wollen die Spielenden herausfinden, was außerhalb der Halle mit der Menschheit geschieht, da die Charaktere die Information erhalten, dass sich eine tödliche Krankheit über die gesamte Bevölkerung ausbreitet.
Gameplay
Wie bei seinem Vorgänger, teilt sich dieses Abenteuer in zwei Modi: den Escape- und den Novel-Modus. Im Escape-Modus betreten die Spieler_innen Räume voller Rätsel mit dem Ziel, diese zu verlassen. Die Escape Rooms in diesem Teil sind deutlich anspruchsvoller und umfangreicher als im Vorgänger und es gibt auch deutlich mehr dieser Räume. Zudem gibt es die Möglichkeit, die Rätsel leichter einzustellen; die Charaktere geben dann mehr Hinweise zur Lösung der Rätsel und helfen somit weiter. Der Novel-Modus zeigt den Verlauf der Geschichte mit 3D-Animationen der Charaktere, welche wieder auf Englisch synchronisiert sind. Sie interagieren miteinander, erkunden die Halle, in der sie eingesperrt wurden, und entdecken immer wieder neue Informationen, Wendungen und Gefahren. Diese Abschnitte können manchmal mehrere Stunden umfassen, ohne dass es zu einer Sequenz kommt, in welche die Spielenden eingreifen können. Somit erinnern diese Passagen zeitweise mehr an einen Film.
Auch beeinflussen die getroffenen Entscheidungen den weiteren Verlauf, jedoch in deutlich größerem Maße als noch beim Vorgänger. Gab es dort noch sechs unterschiedliche Enden, so sind es bei Virtue’s Last Reward über zwanzig, von denen allerdings nur eines das „echte“ Ende darstellt. Dies zu erreichen ist das Ziel. Mithilfe des Flowcharts, einer Übersicht, welche Entscheidungen bereits getroffen wurden, bleibt es trotz der vielen Möglichkeiten und Enden übersichtlich. Zudem nimmt das Spiel direkten Bezug auf diese Mechanik: Sigma, der Hauptcharakter, hat die Fähigkeit, Informationen aus anderen Universen zu erhalten. Hierbei werden die unterschiedlichen Handlungsstränge, die sich durch die Entscheidungen ergeben, als Universen betrachtet (siehe Mehrweltentheorie). Das bedeutet, dass die Spielenden Probleme, die in einem Handlungsstrang auftreten, mit Informationen aus einem anderen Handlungsstrang lösen und somit immer weiter in der Geschichte fortschreiten können, da der Protagonist über die gleichen Informationen verfügt wie die Spieler_innen selbst, die alles von außen betrachtet.
Spielmechanik
Da das Grundprinzip darauf abzielt, Misstrauen und Anspannung unter den Charakteren zu streuen, ist die meiste Zeit eine sehr düstere und fast feindselige Atmosphäre präsent. Dies führt dazu, dass die Hintergründe vieler Charaktere lange undurchsichtig bleiben und die Spieler_innen dazu animiert werden, selbst zu hinterfragen, wem vertraut werden kann.
Auch kommt es häufig zu Ausschreitungen und Gewalttaten zwischen den Charakteren. Zwar üben die Spielenden nie selbst Gewalt aus, doch die Darstellungen sind expliziter und verstörender als noch im ersten Teil. Einige Szenarien führen auch zum Tod der eigenen Spielfigur. Besonders eine Szene, in der alle Charaktere zu Tode kommen, wirkt sehr verstörend, da die Spielenden nie Einfluss auf solche Geschehnisse nehmen können und somit gezwungen sind, zuzusehen, wie durch eine getroffene Entscheidung alles schiefläuft.
Die wirklichen Hintergründe bleiben lange Zeit unbekannt und die Spieler_innen müssen die erhaltenen Informationen hinterfragen und versuchen, sie in den Gesamtkontext einzuordnen. So wird man zu stetigem Mitdenken angeregt und auch darin gefördert, kleine Hinweise wahrzunehmen und nach relevanten und irrelevanten Informationen zu sortieren sowie ein Gesamtbild daraus zu erschließen. Da erst ganz zum Schluss alles enthüllt wird, ist die Spannung die ganze Zeit präsent und auch der Ehrgeiz, das Ende zu erreichen, wird stetig unterstützt.
Fazit:
Das Abenteuer dreht sich unter anderem auch um verstörende Themen, wie Sekten, Biowaffen und Krankheiten, die für zusätzliche Anspannung sorgen. Zudem sind Gedankenexperimente, wie etwa Schrödinger’s Katze, immer wieder Bestandteil. Da auch die Rätsel sehr anspruchsvoll sind und die Sprachausgabe komplett auf Englisch erfolgt, ist der Titel für Jugendliche ab 16 Jahren interessant. Nicht nur müssen die Spielenden der stetigen Anspannung und den immer wiederkehrenden Fehlschlägen standhalten, sondern auch über eine Spielzeit von ca. 80 Stunden Hinweise wahrnehmen, einordnen und sich merken, um das Gesamtbild der Geschichte zu erfassen. Auch die differenzierte Wahrnehmung der dargestellten Gewalt ist unabdingbar. Wenn all dies gegeben ist, ist Virtue’s Last Reward ein spannendes Visual Novel-Adventure, welches die Spieler_innen bis zur letzten Sekunde fesselt, vor Fragen stellt und immer wieder herausfordert; nicht nur durch die anspruchsvollen Rätsel, sondern vielmehr durch die komplexe Geschichte.
Eine Rezension von Lisa Alexa Weinert // Sommersemester 2018