Japan im Spiel!?

Abbild der japanischen Öffentlichkeit im Spiel

Zu dem realitätsgetreuen Weltbild eines Spiels trägt das Setting wohl am meisten bei. Es macht schließlich einen Unterschied, ob wir uns in einer Fantasiewelt voll mit Feen, Zwergen und Magie befinden, im viktorianischen Zeitalter oder in der Gegenwart. Catherine spielt nicht ohne Grund in einer kontemporären, amerikanischen Großstadt [1]. Das gegenwärtige und realistische Flair entsteht vor allem durch die Szenen, die im Café „Chrono Rabbit“, der Bar „Stray Sheep“, in Vince‘ Wohnung oder im Sushi Restaurant „Kappa Heaven“ stattfinden. Jede Szene, die in einem solchen Lokal von statten geht, projiziert nicht nur eine Verbundenheit mit den Charakteren, oder erinnert an eigene Erfahrungen, sondern verleiht auch den japanischen Touch, der dem Spiel immerwährend unterliegt.

Der Hase mit der Uhr.

Betrachtet er die öffentlichen Schauplätze näher, so mögen dem Spieler einige Konstanten auffallen, die an diesen Orten stetig wiederkehren. Eines der ersten Orte, die wir kennenlernen ist „Chrono Rabbit“ – das Café in dem Vincent Brooks sich ausschließlich mit Katherine trifft. Der Name setzt sich aus dem Wort „Chronograph“ und „Hase“ zusammen, was eine Referenz auf den Hasen aus Alice im Wunderland ist. Der gehetzte Nager, der ständig auf seine Uhr starrt, weil er fürchtet zu spät zu kommen, ist der Auslöser, wie Alice überhaupt ins Wunderland kommt.

Tatsächlich gibt es an der Stelle viele Parallelen zu dem Verhalten von Vince, wenn er im „Chrono Rabbit“ sitzt, aber wir wollen uns auf das Setting an sich konzentrieren.

Der pink-lilane Anstrich ruft einen sehr stereotypen weiblichen Eindruck hervor. Nicht nur, dass selbst die Tassen und Teller Rosa sind, auch das Klientel ist im Durchschnitt jung, stylisch und weiblich. Vince passt, bis auf sein pinkes Shirt, nicht wirklich in diese Umgebung hinein. Oben drein scheint es, als hätte Katherine in den Gesprächen, die dort stattfinden, einen Heimvorteil, denn sie dominiert die Konversationen und lässt Vincent kaum Entscheidungsfreiraum. Jedoch ist nicht zu übersehen, dass sich auch Katherine im „Chrono Rabbit“ nicht zu hundertprozentig zu Hause fühlt. Sie wirkt deutlich älter als die anderen Frauen im Lokal und ihr Kleidungsstil ist bei weitem nicht so Jugendlich, wie die Kulisse. Durch dieses Umfeld wirkt sie etwas konservativer.

Man mag den Wunsch jünger und freier zu sein in Katherines Wahl des Cafés hineininterpretieren. Die Spielthematik bezüglich der Auseinandersetzung mit dem „Erwachsen werden“, sich zu binden und einen geordneten Pfad im Leben zu gehen, reißt in Bezug auf Katherine den japanischen „Arasā“-Diskurs[2] an. Katherine ist dem Druck der Gesellschaft, vor allem dem ihrer Eltern, ausgesetzt, sich auf eine Ehe festlegen zu müssen. Diese Unbehaglichkeit und der innere Konflikt wird weniger durch die Kulisse selbst, als mehr durch den Kontrast zwischen Katherine und des öffentlichen Raumes hervorgerufen.

Ein Himmelreich für Wasserdämonen.

Ein weiterer öffentlicher Ort, den Vincent mit nur einer weiteren Person teilt, ist die Sushi-Bar „Kappa Heaven“. Sie bringt eine japanische Note ins Spiel, denn Restaurants mit Fließband-Sushi sind in Japan – vielmehr als in Amerika – ein üblicher Ort für gutverdienende Geschäftsmänner. Entweder treffen sie sich dort mit Arbeitskollegen, um geschäftliche Kontakte zu knüpfen, die Arbeit zu diskutieren oder einfach ihre Mittagspause zu verbringen. So sehen wir im „Kappa Heaven“ vorwiegend Männer in Anzügen. Ab und zu kommentieren auch Frauen das Geschehen, welche aber eher wie mitgebrachte Dates oder Partnerinnen in der Männerdomäne wirken. Die Sushibar scheint insofern authentisch, als dass sie die Innenausstattung und das Essen, sowie Trinken realitätsgetreu darstellt.

Der Name der Bar setzt sich aus „Kappa“ und „Himmelsreich“ zusammen. „Kappa“ sind japanische Mythologiewesen, welche eine Kreuzung von Mensch und Frosch sein könnten. Sie stellen eine Art Flussgottheit dar, sind in diesem Zusammenhang aber einfach als Zeichen für Japan zu verstehen. „Kappa“ werden nämlich heutzutage oft als Symbol für das Land genutzt.

Weil sie Arbeitskollegen sind, verbringt Vincent seine Zeit im „Kappa Heaven“ ausschließlich mit Orlando, der ebenfalls unter Albträumen leidet. Dementsprechend können sie sich über diese auslassen, das aktuelle Tagesgeschehen diskutieren oder über Vinces Liebesleben philosophieren. Ein Gefühl von Gelassenheit begleitet ihre Konversationen. Vince dominiert – im Gegensatz zum „Chrono Rabbit“ – die Unterhaltungen meist und es wird deutlich, dass Orlando ihm nur als Reflektion dient, selbst aber keinen Charakter mit Tiefe bildet. Auch die Kommentare der Gäste, die hin- und wieder eingeworfen werden, fügen sich gut in die Gesprächsdynamik ein. Die allgemeine Stimmung wirkt nie angespannt, denn obwohl weder Vince noch Orlando in Anzüge gekleidet sind, wirken sie der Kulisse nicht gänzlich fremd. Sie fallen nicht sonderlich auf, gehören aber auch nicht genuin in die Welt der Arbeitergesellschaft.

Das verirrte Schaf.

Zuletzt bleibt die Bar „Stray Sheep“, in der die meiste Handlung des Spiels stattfindet. „Stray Sheep“ weist mit dem Namen nicht nur auf die Schafe, die in Vincents Alpträumen vorkommen hin, sondern ist auch das einzige Lokal, das spielbar ist, in dem der Hauptcharakter frei bewegt werden kann. Die Bar ist nach amerikanischem Vorbild gestaltet: An den Wänden befinden sich nostalgische Filmposter, eine Jukebox kann bedient werden und auch die Theke ist im westlichen Stil gehalten. Allerdings lässt sich vielleicht über die Arcade-Automaten, sowie die Option Sake zu trinken, streiten, weil Beides eher in japanischen als amerikanischen Bars zu finden wäre. Um beim Sake zu bleiben: Die Bar ist ein Ort für Vince und seine Freunde, um sich zu unterhalten oder zu entspannen. Hier kann Alkohol getrunken oder geraucht werden[3]  und der Spieler erhält als Zusatz kleine Hintergrundgeschichten zu jedem Getränk, das der Protagonist leertrinkt. 

Hier kann Vincent auf Augenhöhe mit seinen Freunden Orlando, Johnny und Toby reden. In der Bar gibt es kein bestimmtes Klientel – von Zwillingen im hohen Alter, über Polizisten bis hin zu Reportern gehen alle ein und aus. In dieses Setting passt Vince unumstritten hinein. Das „Stray Sheep“ bildet die Welt jener Erwachsenen ab, die ohne Verantwortung oder Zwang leben. Eine Welt in der Vince nicht beurteilt oder belehrt wird. Es ist also kein Zufall, dass er Catherine hier trifft, dort wo er sich am wohlsten zu fühlen scheint.

Eine originelle Tierkombination.

Tatsächlich bildet die Barszene in Japan einen Ort des Rückzugs oder vielleicht auch der Flucht vom Alltag. Beobachtet man die Orte an denen die Handlungen stattfinden, so fällt auf, dass diese sehr selten in der Wohnung von Vince und stattdessen sehr oft im öffentlichen Raum stattfinden.

Mittags sehen wir Vincent und Orlando im „Kappa Heaven“; wenn Vince seine Beziehung beredet geschieht dies im „Chrono Rabbit“ und die Freizeit findet abends im „Stray Sheep“ statt. Die Wohnung ist lediglich ein grauer Ort, der zum Schlafen oder wahlweise zum Fremdgehen dient. Grundsätzlich trägt die Wohnung eher eine Stimmung der Angst mit sich, obwohl sie ein Gefühl der Sicherheit oder Geborgenheit bieten könnte. Dies ist durchaus mit dem Großstadtleben in Tokyo zu vergleichen, wo kleine Wohnungen aufgrund des engen Lebensraums normal sind und das Alltagsleben tatsächlich in öffentlichen Räumen wie Cafés, Bars und Restaurants stattfindet[4].

Catherine stellt die Probleme, Sorgen und Nöte von Vincent sehr gekonnt durch die öffentlichen Kulissen dar. Der Spieler bekommt ein Gefühl für das Universum, in dem die Handlung stattfindet. Durch die Wahl der Lokale, wird schnell der gesellschaftliche Status der Hauptcharaktere und ihre Bindung zueinander deutlich. Zudem werden die Figuren entweder durch die Settings oder durch den Kontrast zu Diesen näher charakterisiert.

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018

 

Fußnoten:
[1] Oder zumindest einer japanischen Version einer amerikanischen Großstadt. Zwar hat Katsura Hashino die USA bereits besucht, aber generell bescheibt er die Settings im Spiel, als etwas, wie er sich Amerika und den Lebensstil dort
vorstellen würde. Im Anbetracht der Tatsache, dass viele Trends der Moderne aus Nordamerika kommen und „der Westen“ in Japan generell mit „Modernem“ assoziiert wird, kann man dem Spielsetting schon vorwerfen, dass es eher die Vorstellung einer amerikanischen Großstadt ist, als eine exakte Abbildung davon (vgl. Interview mit Katsura Hashino).

[2] Arasā ist ein dem Englischen „Over Thirty“ (also über 30) angelehnter Begriff, der japanische, unverheiratete Frauen, die über 30 Jahre alt sind, beschreibt. Der Diskurs kam Mitte-Ende der 2000er auf und wird auch aktuell
noch im japanischen TV in Dramen oder Filmen thematisiert. Die Problematik liegt im etablierten Familienbild und Arbeitsmodell, das in Japan allmählich aus zu laufen scheint. Immer mehr Frauen bleiben (gewollt und ungewollt) nach ihren Dreißigern Single und bilden keine Familie, was der Politik aufgrund der immer weiter sinkenden Demographie Sorgen macht.

[3] Rauchen in geschlossenen Räumen, vor allem in Bars ist normal in Japan. In den meisten Staaten Amerikas dagegen ist das Rauchen in Restaurants, Bars etc. verboten. Hier wird deutlich, dass Katsura sich entweder an der japanischen Öffentlichkeit orientiert hat oder aber den amerikanischen „Free-Spirit“ beibehalten wollte.

[4] Natürlich bildet auch der Arbeitsplatz einen wichtigen Aspekt, wird aber hier nicht thematisiert, weil er für das Spiel irrelevant ist.

Typisch Japan!?

Darstellung von typischen Charaktereigenschaften in der japanischen Populärkultur

Catherine ist ein Spiel, dass mit seinem ungewöhnlichen Setting, abgedrehten Charakteren und einem innovativen Gameplay zu überzeugen weiß. Viele westliche Spiele würden diese ‚Abgedrehtheit‘ und Ungewöhnlichkeit wahrscheinlich als „typisch japanisch“ bezeichnen. Aber was genau lässt uns ein Spiel wie Catherine „japanisch“ erscheinen? Die Antwort liegt bei weitem tiefer, als nur im Animationsstil:

Datenbanktiere?

Azuma Hiroki beschreibt in seinem Buch „Otaku: Japan’s Database Animals“, dass japanische Medien wie Anime, Manga oder Spiele, nicht mehr auf eine Geschichte oder vermittelte Werte ausgelegt sind, sondern sich grundsätzlich auf bestimmte Eigenschaften von Charakteren in diesen Medien beschränken. Bezogen auf Catherine stände beispielsweise nicht die Geschichte des Spiels im Vordergrund, sondern, wie die Charaktere dargestellt sind. Was für Eigenschaften haben sie? Tragen sie Katzenöhrchen? Haben sie Schuluniformen an? Kommt ein bestimmter Charaktertyp im Spiel vor, wie zum Beispiel eine Tsundere[1] oder eine Kuudere[2]? Hiroki erklärt diese Werteverschiebung hauptsächlich durch die Modernisierung und Konsumkultur in Japan.[3] Mit diesem Leitfaden lohnt sich ein näherer Blick auf die wichtigsten Figuren von Catherine, um mehr über unsere Auffassung der Charaktere herauszufinden.[4]

Katherine McBride:

Katherine ist die Verlobte des Hauptcharakters Vincent Brooks. Sie hat kein allzu auffälliges Charakterdesign, keine Eigenschaften, die sie aus der Welt von Catherine besonders hervorheben könnten und nichts, was sie unmenschlich oder karikativ erscheinen lässt. Sie hat hellbraune Haare, eine sehr attraktive Figur, einen modischen, aber nicht allzu auffälligen Kleidungsstil und trägt eine Brille. Wenn man sich mit der japanischen Modekultur beschäftigt, fällt außerdem auf, dass ihr Kleidungsstil sehr westlich orientiert ist. Catherines Charakterdesigner Soejima Shigenori erklärt, dass er für das Design oft selbst in den Cafés von Tokyo saß, die Menschen um ihn herum beobachtete oder Modemagazine las. Er beschreibt, dass Kleidung oft ein Mittel dafür ist, einen Eindruck nach Außen hin vermitteln zu wollten. Den Eindruck, der bei Katherine entsteht, ist ein sehr konservativer, erwachsener und determinierter. Soejima beschreibt Katherine zudem als einen Pol der Vernunft und der Stabilität.

Der Kontrast zu dem Protagonisten Vince, der insgesamt sehr unentschlossen, nihilistisch aber gleichzeitig freigeistig rüberkommt, lässt Katherine für den ein oder anderen Zuschauer verklemmt und nicht allzu liebenswert wirken. Für andere Spieler vermittelt sie allerdings die Traumbraut – denn Ordnung, Kontrolle, Initiative und gleichzeitig ein attraktives Äußeres[5] erzeugen vor allem auf konservativer Ebene der japanischen Gesellschaft das perfekte Bild einer Ehefrau.

In Bezug auf Hiroki’s These ruft Katherine keine direkte Bindung zum Konsumenten hervor: Sie hat weder markante äußerliche noch charakteristische Eigenschaften, die sie hervorstechen lassen.[6] Ihre Rolle im Spiel und ihr Beitrag zur Handlung ist viel wichtiger als ihre Charakterdarstellung, was immens der These von Hiroki widerspricht. Übrigens einer der Aspekte, die stark für das Spiel sprechen, denn es bricht oftmals absichtlich die Stereotype der japanischen Popkultur und konzentriert sich vielmehr auf einen Realitätsbezug und die Herausarbeitung von realen Themen und Problemen der Gesellschaft.

Catherine:

Catherine ist das mysteriöse Mädchen, mit dem Vince nicht ganz beabsichtigt fremdgeht. Sie hat blonde Haare, markante Zöpfe, die mehr an Schafshörner erinnern, als an eine Frisur und ein sehr, sehr knappes, weißes Outfit. Sie ist das Ebenbild eines jungen, modischen Mädchens und steht absichtlich im Kontrast zum konservativen Familienbild. Solche jungen Frauen findet man oft in japanischen Modemagazinen: gefärbtes blondes Haar und helles Makeup erinnert an den Gyaru-Stil, welcher eine in den 90er Jahren entstandene Trendbewegung von Jugendlichen, die das etablierte Familien- und Berufsbild aktiv ablehnen, beschreibt.

Je nach Route, die der Spieler wählt, erfährt man kaum bis sehr wenig über Catherines Charakter oder ihre Hintergrundgeschichte. Die einzigen Charaktereigenschaften, die man ihr zuordnen könnte wären: sehr lebendig, jung, unabhängig und spaß-liebend. Catherine erinnert zudem an Animecharaktere, weil sie sich unreal und karikativ verhält. Ihre Haare sind ein markantes Merkmal und ihr Auftreten und Erscheinungsbild deuten darauf hin, dass sie mehr eine Männerphantasie darstellt, als ein realistisches Frauenbild. Dies wird zudem durch die freizügigen Bilder, die sie Vince zukommen lässt, verstärkt. (Spoiler!) Und auch die Tatsache, dass sie eine Succubus ist, bestärkt die Realitätsentfremdung. Dies erfährt der Spieler aber nur, wenn er sich für das Catherine Ende entscheidet. Nur in diesem Ende werden auch die Beweggründe und der Hintergrund von Catherines Rolle im Spiel deutlich. (/Spoiler)

Catherine passt also rundum in das Schema von Hiroki. Sie hat markante äußere Eigenschaften und fungiert nicht nur als Name, sondern auch oft als Werbefigur des Spiels. Dennoch trägt sie in erster Linie zu der Geschichte bei, statt nur als einzelnes Element im Mittelpunkt zu stehen. Außerdem hat Catherine zumindest in einem Spielweg eine dreidimensionale Persönlichkeit, die im Spieluniversum ihrer eigenen Intention und Logik folgt.

Vincent Brooks:

Vincent Brooks, abgekürzt als „Vince“, ist der Protagonist von Catherine. Er ist kein typischer Held, er besitzt keinerlei Superkräfte, nicht einmal eine muskelbepackte Figur oder einen moralischen Kompass. Vince ist ein Typ mit einer Dauerwelle, einem relativ durchschnittlichen Kleidungsstil, keinen Karriereambitionen oder viel Geld. Er bewegt sich außerdem in einer sehr gebückten Körperhaltung, durch die er nicht gerade vor Selbstbewusstsein strotzt. Vince ist das, was man in Japan als „Grasfressermann“ bezeichnet. Er hat zwar eine Verlobte, aber keinerlei Intentionen eine Familie aufzubauen. Ganz im Gegenteil, er hat Angst davor eine feste Bindung in Form von Heirat einzugehen. Sein äußeres Erscheinungsbild ist durch seine Dauerwellen bzw. afroartigen Haare, seiner gebückten Haltung und dem Kissen plus den Boxershorts, die ihn in seinen Albträumen begleiten, gekennzeichnet. All diese Eigenschaften sind zwar markant, aber nicht allzu übertrieben. Vincent wirkt wie ein Videospielprotagonist, aber durch die Geschichte doch auch wie ein realer Mensch. Laut Soejima ist er nur dank der Einwände der weiblichen Mitarbeiterinnen des Atlus Teams sympathischer als anfänglich geplant.

So ist der Hauptcharakter nach Hiroki schon mit Merkmalen ausgestattet und beinhaltet keinen moralischen Kompass, an dem sich der Spieler orientieren sollte, aber seine Geschichte behandelt grundsätzlich die Konflikte, die durch seine Beziehungen und das „Erwachsen werden“ entstehen. Diese werden nicht durch einen komplexen Handlungsablauf, sondern durch die Erfahrungen und Gefühle, die Vince durchmacht, dargestellt.

Catherine schafft es die Charaktereigenschaften miteinzubeziehen, die die Hauptfiguren markant aussehen lassen und damit einprägsam machen. Es stellt aber die Geschichte deutlich in den Vordergrund. Das Spiel ist somit an Konsumenten japanischer Popkultur gerichtet, ohne dass es sich exakt an die karikativen Stereotype hält, sondern sie nur anreißt. Die Charaktere bleiben insgesamt real und nachvollziehbar. In der Hoffnung einen Transfereffekt zu erzielen und dem Spieler eine Erkenntnis mit in die Realität zu geben[7], schafft Catherine durch die Handlungen, die Geschichte und die Charaktere einen Kontext, oder vielmehr eine Welt, die der realen Welt sehr ähnelt.[8]

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018

 

Fußnoten:
[1] Tsundere: Wohl die bekannteste Darstellung unter japanischer Popkultur. Setzt sich aus den japanischen Worten „tsuntsun“ (schlecht gelaunt) und „deredere“ (flirtend, verliebt) zusammen und beschreibt einen meist weiblichen Charaktertyp in Spielen oder Anime, die der Person, an der sie eigentlich romantisches Interesse hat, sehr unsympathisch oder zickig gegenübersteht. Ihre Zuneigung zeigt sie meist indirekt oder nur wenn die zwei Charaktere unter sich sind.

[2] Kuudere: Setzt sich aus den japanischen Worten „kuuru“ (kalt) und „deredere“ (flirtend, verliebt) zusammen. Kuuderes sind ebenfalls meist weibliche Charaktere, die keinerlei Emotionen nach Außen zeigen. Allen charakteren gegenüber wirken sie schon fast autistisch, bis der Hauptcharakter oder ihr Love-Interest in Gefahr kommt. Erst dann offenbaren sie, dass sie doch Gefühle für jemanden hegen und generell sehr einfühlsam sind.

[3] Ob seine These stichfest ist, bleibt fraglich, weil sein Buch sehr theoretisch aufgebaut ist. Seine Ausführungen lassen sich trotzdem durchaus auf Charaktere aus der japanischen Populärkultur anwenden.

[4] Laut eigener Aussage des Charakterdesigners Soejima sind die Nebencharaktere zu eindimensional, weshalb wir hauptsächlich auf die Eigenschaften der Hauptcharaktere achten werden.

[5] Es mag stereotyp klingen, aber gerade die dunkle Haarfarbe vor allem im Konrast zu Catherine berwirkt nochmal ein „ideales Schönheitsbild“ von Katherine. Ich weiß nicht genau was es mit schwarzen Haaren auf sich hat (vielleicht Reinheit der Ethnie), aber Mädchen oder Frauen mit schwarzen, langen Haaren und weißer Haut sind in Japan ein hervorgehobenes Image der idealen Schönheit einer Frau.

[6] Weshalb für die Vermarktung des Spiels auch Catherine eindeutig im Mittelpunkt steht.

[7]  Was man gerade beim Spielen im Seminar sehr gut sehen konnte. Bei den Entscheidungen im Beichtstuhl zum Beispiel wurde fleißig diskutiert. Oft zwar eher über die Sinnhaftigkeit der vorgegebenen Auswahl („Hä das macht gar keinen Sinn, dass es ‚gut‘ ist, wenn man es bevorzugt auch mal Zeit für sich zu haben“), dennoch fand ein realer Dialog und eindeutig auch ein Transfereffekt in die Wirklichkeit statt.

[8] vgl. Interview mit dem Direktor Katsura Hashino https://www.youtube.com/watch?v=6B8z8LOQxxg

Geschlechterrollen in Japan und in Catherine

Zwischen Realität und Mythos.

Wenn man an japanische Geschlechterrollen denkt und nicht gerade japanisch studiert oder japanischer Nationalität ist, gibt es viele diffuse Assoziationen zwischen Realität und Mythos. Viele mögen an Geishas denken oder Samurai, andere an die klassischen Rollen in Animes, wie süße kleine Mädchen und androgyne Jungen. Oder an den klassischen hart arbeitenden japanischen Mann und die zierliche, schüchterne japanische Frau. Um etwas Licht ins Dunkel der japanischen Geschlechterverhältnisse zu bringen, ist ein kurzer Blick in die Vergangenheit Japans notwendig, bevor wir uns der Gegenwart zuwenden und entscheiden, ob Catherines Charaktere sich in der Tradition oder Moderne bewegen.

Von Konfuzianismus zum Zweiten Weltkrieg.

Die japanische Geschlechtertradition ist geprägt vom Konfuzianismus und konfuzianischen Idealen. Im Zentrum steht nicht der Einzelne , sondern die Gemeinschaft (z.B. die Familie, das Dorf oder die Provinz). Alles hat seine Ordnung und seinen Platz. Der Haushalt bzw. die Familie bilden das Fundament. Loyalität; Anstand, Respekt und Sitten hatten eine große Bedeutung in der patriarchal geprägten Gesellschaft.[1] Ein Mann musste stark, aggressiv, dominant, ehrgeizig und rational sein – alles was ein Oberhaupt an Charaktereigenschaften braucht. Zusätzlich spielte die Ergebenheit und Loyalität zum Kaiser eine große Rolle. Auch die berühmten Samurai waren an den Kodex des Bushido (jap. Weg des Kriegers) gebunden. Neben den oben genannten männlichen Idealen, kam die Bildung in den schönen Künsten dazu und natürlich das Kampfgeschick hinzu.[2] Von Frauen wurde erwartet zu heiraten (meist eine arrangierte Ehe), Kinder zu bekommen und das Haus zu hüten, typischerweise in einem Mehrgenerationenhaushalt mit bis zu drei Generationen unter einem Dach.

Bis ins späte 19. Jahrhundert existierten Frauen gesetzlich nicht wirklich: sie konnten kein Eigentum besitzen und mussten sich dem Mann in jeglicher Weise unterordnen. Diese Ideale verstärkten sich vor dem Zweiten Weltkrieg. Neben der Loyalität wurde die Ausübung der Geschlechterrollen eine heilige Pflicht.Führende Persönlichkeiten und Höhergestellte waren moralisch überlegen und etwa wie bei uns war der Adel unantastbar in jeglicher Hinsicht. Die Ideale des Konfuzianismus und des Bushido lockerten sich graduell in der japanischen Gesellschaft. Der markanteste Sprung fand nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Mit dem Civil Code von 1947 bekamen Frauen das Recht auf Eigentum, ein Familienerbe, selbstbestimmt zu heiraten und sich scheiden zu lassen, zu wählen und die rechtliche Handhabe als ein Elternteil.[3]

Männer und Frauen – ein Rollenmodell zwischen Moderne und Tradition.

Seine Wurzeln merkt man dem modernen Japan bis heute an. Für einen Mann ist es üblich, dass er die Firma als oberste Priorität hat. Er widmet sich seiner Arbeit und setzt die Ziele seines Arbeitgebers über seine eigenen. Für Frauen ist das Gegenteil der Fall, denn sobald sie schwanger sind, wird erwartet, dass sie ihren Job kündigen und sich komplett dem Aufziehen des Kindes und der Instandhaltung des Haushalts widmen.[3]

Das Glück der Frauen liegt immer noch in der Ehe. Eine Heirat sollte am besten zwischen 22 und 27 Jahren stattfinden. Früher war es nicht ungewöhnlich, dass Frauen, die nach 27 noch unverheiratet waren, gesellschaftlich gebrandmarkt wurden. Doch mittlerweile lösen sich die festen Strukturen und spätere Hochzeiten sind akzeptierter. Auch Frauen, die trotz Kindern arbeiten, sind keine Seltenheit mehr. Auch wenn sie meistens eher in Teilzeitarbeitsverhältnissen stehen als in Karrierejobs. Weiterhin ist das Ausleben von Weiblichkeit noch hauptsächlich mit Mutterschaft verknüpft und Männlichkeit mit dem Verfolgen der Karriere. Von diesen Männern wird erwartet, alleine die Last der Finanzierung der Familie zu schultern, selbst wenn sie gerne die Erziehung der Kinder übernehmen würden. Der Hausmann ist kein akzeptierter Lebensentwurf in der japanischen Gesellschaft.[4]

Mittlerweile gibt es sowohl Männer, als auch Frauen, die sich bewusst gegen die traditionell vorgeschriebenen Rollen wenden. Direkten Einfluss darauf hatte das Platzen der Spekulationsblase in den Neunzigern, das die Wirtschaftslandschaft Japans komplett veränderte. Eine der vorherrschenden Prinzipien der japanischen Wirtschaft, die des sarariiman(Geschäftsmanns), begann zu bröckeln. Als sarariiman bezeichnet man Männer, die nach dem Universitätsabschluss bei einer Firma ein Leben lang arbeiten, mit der schon erwähnten Hingabe und Loyalität. Die kommenden Jahrzehnte werden in Japan als Ushinawareta Nijūnen (失われた20 年, „Zwei verlorene Dekaden“) bezeichnet, wegen der schwachen wirtschaftlichen Entwicklung seit 1990.

Von Grasfressermännern, Parasite Singles und Hikikomori.

Aus diesen Entwicklungen ging ein in Japan auch medial ein sehr großes Thema hervor: der sogenannte „Pflanzenfressermann“. Im japanischen Sōshoku danshi (wörtlich übersetzt grasessende Jungs) genannt, bezeichnet Männer, die entgegen der traditionellen Werte leben. Charakteristisch für diese ist, dass sie weder besonders aggressiv das andere Geschlecht verfolgen, noch den beruflichen und gesellschaftlichen Status der vorherigen Generation. Sie sind oft an eher „unmännlichen“ Dingen interessiert, wie Mode, Backen und Stickerei. Trotzdem geben sie nicht viel Geld aus. In der internationalen Presse wird gerne der Faktor nach vorne gestellt, dass sie keinen Sex und Beziehungen wollen. Jedoch verhält es sich eher so, dass sie nicht bestimmt sind von dem Gedanken, eine Frau zu finden und eine Familie zu gründen. Sie sind als Singles und platonische Freunde (in Japan ist die Existenz von Freundschaft zwischen Frauen und Männern noch nicht ganz verifiziert ) von Frauen genauso glücklich. Was in einer Gesellschaft, in der Geburtszahlen rückläufig sind, Überalterung ein massives Problem ist und die Immigration, um es diplomatisch auszudrücken, nicht sonderlich gefordert wird, die Grasfressermänner zu einem kontrovers diskutierten Thema macht.

Weitere Entwicklungen sind, wenn auch für Catherine weniger relevant, nichtsdestotrotz interessant, einmal die sogenannten Parasite Singles. Ein Begriff der junge Menschen bezeichnet, vor allem junge Frauen, die finanziell abhängig vom Elternhaus, in eben diesem, ohne Ambition jemals auszuziehen, verbleiben.
Das Geld, das sie dadurch sparen, wird für hedonistische Zwecke verwendet, wie Lifestyle, Mode und Reisen. Interessant ist zudem, dass die Zahl bei den über
dreißigjährigen Parasite Singles, die noch nie eine Beziehung oder sexuellen Kontakt mit
dem anderen Geschlecht hatten, wächst.

Zusätzlich erhält das Phänomen der Hikikomori (jap. ひきこもり: das Haus nicht verlassen) regen Zuwachs.  Das japanische Gesundheitsministerium gab 2006 als Definition für Hikikomori folgende Charakteristika bekannt: eine Person die sich weigert, das Elternhaus zu verlassen, und sich für mindestens sechs Monate aus der Familie und der Gesellschaft zurückzieht. Es sind auch Fälle bekannt, in denen Hikikomori für Jahre oder sogar Jahrzehnte in dieser selbst gewählten Isolation blieben.

Parallelen zu den Charakteren von Catherine

Natürlich spiegeln sich diese gesellschaftlichen Entwicklungen in der Popkultur Japans wieder. Ich könnte euch jetzt eine Aufzählung liefern, in der die oben angeschnittenen Themen in verschiedenen Medien wie Manga, Anime, Games und auch Dorama aufgegriffen und versponnen werden. Da aber der Fokus hier auf Catherine liegt, wenden wir uns nun endlich den Charakteren zu.

Es ist ziemlich offensichtlich, dass der Hauptcharakter Vincent Brooks zumindest Anleihen der ‚Pflanzenfressermanncharakteristika‘ hat. Er ist weder sonderlich ambitioniert in seinem Job noch in seiner Beziehung. Er hat einen Sinn für Mode und verbringt seine Zeit eher mit hedonistischen Aktivitäten, als mit seiner Karriere. Die traditionellen Werte von Hochzeit, Karriere und Familie haben zwar eine Bedeutung für ihn, aber es scheinen keine zeitnahen, aktiven Ziele in seinem Leben zu sein. Es macht eher den Eindruck, dass ihn dabei die Verpflichtung und Verantwortung ängstigt und abschreckt. Er ist alles andere als offensiv mit den Frauen in seinem Leben, er ist der passive Part bei seinem Seitensprung mit Catherine, aber auch in seiner Beziehung zu der anderen Katherine gibt es kaum eine aktive Teilnahme am Geschehen.

Im Gegensatz dazu steht seine Freundin Katherine McBride. Katherine ist ein Abbild einer modernen Frau zwischen den Werten und Erwartungen der Vergangenheit und Gegenwart. Sie steht aktiv im Leben, arbeitet in einem guten Job, ist karrieregetrieben und hat Ambitionen.

Trotzdem ist sie beeinflusst und vielleicht auch ein wenig zerrissen von den traditionellen Werten der Heirat und der Familie. Eine Heirat mit Vince ist ein zentrales Leitmotiv für Sie. Als Untermalung ihres eigenen Wunsches, aber auch als eindeutiger Hinweis auf ihre traditionellen Wurzeln, erwähnt sie in einem Gespräch mit Vince im „Chrono Rabbit“, dass ihre Familie Erwartungen in Richtung Heirat und Kinderkriegen an die beiden hat. Auch als Sie andeutet, schwanger zu sein, ist es nicht wirklich der Fakt der Schwangerschaft, der sie aus dem Konzept bringt, sondern Vincents passive, fast negative Reaktion. Dementsprechend ist zu folgern, dass sie sich ein Kind in Zukunft wünscht. Wie ihre Vorstellungen nach der Geburt aussehen, kann nur spekuliert werden.

Last but not least ist die junge Catherine. Sie steht im Kontrast zu den vorherigen beiden Charakteren. Ich bin fast versucht zu behaupten, dass sie eher eine Manifestation aus der japanischen Popkultur und männlichen Phantasien ist, als eine wirkliche Frau, die eine gesellschaftliche oder traditionelle Grundlage hat. Sie besitzt die typischen Charakteristika für junge Frauen diverser (hauptsächlich an ein männliches Publikum gerichteter) Genres der Manga und Hentai-Szene: Anfang zwanzig (oder auch gerne darunter), offensiv und sehr sexualisiert.  Catherines Kleidungstil ist mehr Lingerie als Abendgarderobe und ihr Verhalten ist vor allem darauf konzentriert Vincent zu verführen. Jedoch gibt es ein paar Anzeichen, die sie eindeutig als moderne Frau frei von traditionellen Rollenbildern deklarieren. Nicht nur einmal bildet sie den Gegenpol zu Katherine: Heirat hat keine Bedeutung für sie, sie möchte nicht gebunden sein, ihr reicht es eine gute Zeit zu haben. Sie ist nicht sonderlich interessiert an Arbeit und Status, sie versteht die Notwendigkeit, aber alles andere darüber hinaus wie Ambitionen und Überstunden liegen fern ihrer Welt. Sie wertet Vincent im Gegensatz zu ihrer Rivalin Katherine nicht wegen seiner Karriere oder fehlenden Ambitionen ab. Im Gegenteil, sie ermutigt ihn und versucht ihn zum Schwänzen zu verführen.

(Spoiler!) Prinzipiell wäre aus Gründen der Ehrlichkeit anzufügen, dass solche Schlussfolgerungen schon alleine in Frage zu stellen sind, da ihre wahre Identität, die eines Succubus ist. Dessen Mission es beinhaltet, die Welt von betrügenden Männern mit Hilfe eines Fluchs zu reinigen. Wer weiß schon, welche Geschlechtervorbilder Kreaturen der Hölle haben? (/Spoiler) Spaß beiseite, der Konsens, der hier untersuchten Charaktere ist, dass ihnen mehrere Facetten der Entwicklungen der japanischen Gesellschaft und dem Wandel ihrer Rollenbilder als Inspiration zugrunde liegen. Ob das nun wirklich ein bewusster Vorgang des Entwicklerstudio Atlus war, oder eine unbewusste Projektion, wagt die Autorin dieses Texts nicht zu beurteilen.

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018

 

Quellen:                                                                                                                                                     
[1] Slote, W. & De Vos, G. (1998). A Japanese Legacy of Confucian Thought. Confucians and the Family. Ebook.

[2] Brown, R. (2012). Yasuoka Masahiro’s ‘New Discourse on Bushido Philosophy’: Cultivating the Samurai Spirit and Men of Character for Imperial Japan. Social Science Japan Journal.

[3]  North, S. (2009). Negotiating What’s ‘Natural’: Persistent Domestic Gender Role Inequality in Japan. Social Science Japan Journal.

[4]  Sugihara, Y. & Katsurada, E. (2002). Gender Role Development in Japanese Culture: Diminishing Gender Role Differences in a Contemporary Society.

Atlus – ein Überblick

A tale of two companies.

Catherine ist einer der erfolgreichsten Gamelaunches der Spieleschmiede Atlus. Die Verkaufszahlen sind nicht nur in Japan hoch, sondern auch, mit 200.00 verkauften Exemplaren allein in der ersten Woche, in Amerika. Persona 5 toppt das Ganze mit 330.00 Spielen in der ersten Woche und einer Endjahresbilanz von über 2 Millionen verkauften Exemplaren.

Für andere Entwickler mag das nichts ungewöhnliches sein, doch für Atlus wird gerade eines der erfolgreichsten Kapitel ihrer Firmengeschichte aufgeschlagen. Für Amerika und Europa sind sie eher ein Nischenentwickler mit einem preisgekrönten Portfolio: Darunter mit Spieletiteln wie Shin Megami Tensei, dessen Spin-Off Persona, Trauma Center und natürlich Catherine.

Atlus Japan – from Purikura to Catherine.

Atlus gehört zu jenen Entwicklern/Publishern, die neben einer beeindruckenden Gamereleaseliste auch eine bewegte dreißigjährige Firmengeschichte haben. Mitte der Achtziger wurde Atlus in Japan gegründet. Wie zu diesen Zeiten nicht unüblich, vertrieb Atlus Unterhaltungstechnik – neben Karaokequipment diverse andere Automaten, wie z.B. die gemeinsam mit Sega entwickelte erste Purikura-Maschine Mitte der Neunziger.

 (Purikura-Automaten sind Fotokabinen, die kleine, selbstklebende Fotos herstellen, die man bei der Aufnahme mit vordefinierten Bildern dekorieren kann.)

Anfangs arbeitet Atlus mehrheitlich für andere Entwickler. Doch stetig fangen sie auch an eigene Titel zu veröffentlichen. Ihr erster eigener Spieletitel Puzzleboy auf dem Gameboy kommt Ende der Achtziger auf den Markt. 

Anfang der Neunziger steigen sie in den Arcademarkt ein und entwickeln unter anderem ihren ersten Arcade Titel BlaZeon. Zudem wird Atlus Dream Entertainment Co., Ltd in den USA gegründet. Anfang der 2000er sieht sich Atlus gezwungen das Unternehmen umzustrukturieren, da sie in den Jahren zuvor ein erhebliches Defizit erlitten hatten.

Kurz vor der Fertigstellung von Persona 4 beginnt 2008 die Entwicklung von Catherine. Ein Titel mit dem sie an mehreren Fronten Neuland betreten, welches aber das Fundament für ihren späteren Erfolg außerhalb Japans legt. Ein Spiel, das ausschließlich nicht nur thematisch an Erwachsene gerichtet ist, gab es in ihrem Portfolio vorher nicht. Auch technisch stoßen sie mit Catherine in neue Gebiete vor – es ist ihr erster Titel für HD-Konsolen. Die Animationen werden ambitionierter: während die Cutscenes in ihren vorherigen Spielen nie eine halbe Stunde überschritten, arbeiten sie mit Studio 4°C ein Jahr lang an dem über einstündigen Material.

Catherine – A Long unfamiliar road.

Die Schlüsselfiguren im Entwicklerteam sind alles Veteranen der Personareihe, jedoch liegt Catherine außerhalb ihres gewohnten Komfortbereichs Rollenspiele.  Es ist der Versuch etwas völlig Neues zu kreieren. Die Actionpuzzlermechanik war schon Jahre zuvor als Liebhaberprojekt eines Atlus-Entwicklers entstanden, technisch aber zur damaligen Zeit nicht mit den vorhandenen Mitteln umsetzbar. Die Adventure-Elemente werden bewusst als Gegensatz zum üblichen RPG-Storytelling eingesetzt, um die Bandbreite des Entwicklerstudios zu erweitern.

Auch die Protagonisten sind um einiges älter als gewohnt. Während die meisten vorherigen Spiele die goldenen Zeiten der Jugend glorifizieren, setzt sich Catherine bewusst mit den Irrungen und Wirrungen des Erwachsenenalters auseinander. Die Identifikationsfaktoren eines Highschoolszenarios sind hoch, egal wie alt oder jung die Spielerschaft ist. Das sieht aber bei unterschiedlichen Lebensentwürfen ab Dreißig anders aus. Es gibt keinen allgemeingültigen Rahmen mehr, der alle auffängt. Dennoch kommen die meisten Menschen nicht umhin zu akzeptieren, dass Liebe, Hochzeit und Beziehungen je älter man wird, eine umso größere Rolle in den verschiedensten Bereichen des Lebens spielen.

Genau dort setzt die Story und das Setting von Catherine an. Mit dem Protagonisten Vincent sollte der Charakter eines „Sexy Losers“ in den Dreißigern geschaffen werden. Dem äußeren Anschein nach hat er mit seiner Beziehung den Jackpot geknackt: Katherine ist schön, heiratswillig und erfolgreich. Doch die Fassade bröckelt, als die junge Catherine auf den Plan tritt – als Gegenentwurf zu der Verantwortung seiner Beziehung aber auch als fleischgewordener Männertraum eines Mittdreißigers oder Mittvierzigers. Dieses Szenario ist keineswegs ungewöhnlich, gerade wenn man das Medium Film oder Serien betrachtet. An eine spielerische Umsetzung hatte sich bisher jedoch kein anderes Entwicklerstudio vorher gewagt. Umso wichtiger war es, die Charaktere im Spiel so real wie möglich erscheinen zu lassen. Dafür konsultierten die Entwickler ihre eigenen Erfahrungen und die ihres Umfelds. Besonders um der Thematik des Liebesdreiecks zwischen Vince, Catherine und Katherine Leben einzuhauchen.

Kurz vor der Fertigstellung von Catherine wird Atlus 2010 von Index Holdings über Aktienanteile aufgekauft und damit als Firma aufgelöst. Catherine wird trotzdessen ein Erfolg und glücklicherweise bleibt die Marke Atlus als Promortionlabel erhalten.  Nach Ermittlungen wegen Betrugs musste 2013 Index Holdings Insolvenz anmelden.  Atlus ging danach an die Sega Sammy Holdings über, unter deren Dach sie bis heute äußerst erfolgreich arbeiten.

Atlus USA – Staying close to the original.

Wie schon erwähnt, wurde Atlus USA Anfang der Neunziger unter dem Namen Atlus Software von Atlus Co., Ltd gegründet, mit dem Gedanken, dass ein lokales Unternehmen und dessen Infrastruktur in den USA für die Portierungen und den Erfolg im Westen von Vorteil sei. Aber auch Titel von anderen Atlus-unabhängigen japanischen Entwicklern wurden von Atlus USA für den internationalen Markt lokalisiert. Unter anderem von Quest (Ogre Battle, Tactics Ogre), Nippon Ichi Software (Disgaea: Hour of Darkness ), FromSoftware (Demon Souls), ACE Team (Abyss Odysee, Rock of Ages).

Nach Startschwierigkeiten bildete Mitte der Neunziger Persona den Anfang der Erfolgsgeschichte von Atlus USA Revelations. Der erste Teil der Subseries von Megami Tensei, welches Atlus in Japan schon berühmt gemacht hatte. Warum Persona und nicht die schon erfolgreiche Megami Tensei Reihe? Die religiöse Symbolik der Hauptserie ist den potientiellen Publishern ein Dorn im Auge. Was die Entscheidung vereinfacht, da Revelations keine dieser Symboliken enthält. Wahrscheinlich wird auch der Umstand eine Rolle gespielt haben, dass sie sich mit diesem Titel auf dem Markt etablieren wollten.

Mit dem Release von Persona 2: Eternal Punishment findet Ende der Neunziger Atlus USA seine Firmenprämisse, der sie bis heute treu bleiben. Diese Prämisse lautet, so nah am japanischen Kontext wie möglich zu arbeiten, nur etwas zu ändern wenn es wirklich notwendig ist. Der Inhalt der jeweiligen Spiele wird zuerst (die sogenannte „familiarization“) dem Teamleiter des Projekts in Originalfassung zugänglich gemacht, erst danach beginnt die wirkliche Portierung.  Neben Lippensynchronisation für den westlichen Markt arbeiten sie, wie ihre Mutterfirma mit professionelle Synchronsprecher zusammen und versuchen diese auch bei bei wiederkehrenden Charakteren in verschiedenen Titeln zu erhalten.

Diese professionelle Arbeitsweise unterscheidet Atlus von früheren und leider auch heutigen Portierern deutlich. Oft wurde zugunsten der Identifizierung für den westlichen Markt bei der Übersetzung verschiedenster Medien aus dem Japanischen gerne z.B. Ramen mit der Erbsensuppe ersetzt (Shin Chan, Animeserie 1992- ongoing). Die Synchronsprecher der Hauptcharaktere wechseln von einer Staffel zu anderen (Pokemon oder Sailormoon). Bei Phoenix Wright: Ace Attorney − Justice for All (2002, Gameboy Advance) wird die Haupthandlung an einen gänzlich anderen Kontinent verlegt (von Japan in die USA). Unter diesen „Anpassungen“ leidet nicht nur die Glaubwürdigkeit des Mediums, sondern auch die qualitative Erfahrung der Narrativen.

Catherine– Between holding the line and improvisation.

Catherine wurde ebenfalls von Atlus USA portiert. Im Vergleich zu vorherigen Titeln, in denen die japanische Kultur im Vordergrund stand, setzte Catherine auf ein amerikanisiertes Setting.

Innerhalb der Portierung bzw. des Lokalisierungprozesses stößt das Team auf unterschiedliche Problematiken, so galt es beispielsweise nicht unbedingt wortgetreu zu übersetzen, sondern eher die Bedeutung des Dialogs, authentisch umzusetzen.

Ein anderes Problem sind die Zitate der Ladebildschirme gewesen. Zwar waren sie alle aus einem bekannten japanischen Zitatbuch, aber es gab weder Angaben zum Autor, noch funktionierten sie übersetzt ins Englische wirklich. Was das Team zur Entscheidung bewog gänzlich neue Zitate einzufügen, um sich nicht mit der Identifizierung der Autoren und der Übersetzung aufzuhalten. Einen deutlichen Vorteil für den Arbeitsprozess sahen die Portierer im Gegensatz zu anderen Titeln im Setting, das den Identifikationsfaktor und das Verständnis für die Charaktere im Vergleich zu dem üblichen Fantasyszenario erheblich erhöhte.

Die Synchronsprecher waren für Atlus keine Unbekannten – sie hatten größtenteils an anderen Projekten wie Persona 3 von Atlus mitgewirkt. Da die japanische und englische Synchronisation zeitgleich abliefen, gab es für die Sprecher nicht immer die Möglichkeit, einen Eindruck von der Stimmung und Atmosphäre zu gewinnen. Um ihrer Prämisse zum Realismus treu zu bleiben, wurden exakte Skripts mit Sprecheinsätzen und Pausen von Atlus ausgearbeitet, die mit den Animationen um 0.2 Sekunden übereinstimmen mussten. Auch hier wurde die Lippenbewegungen für manche Cutscenes aufs Englische angepasst, um eine natürliche Anmutung zu erzielen. Im Vergleich zum japanischen Anime waren die englischen Performances zurückhaltender und weniger stilisiert. Dennoch wurden den Sprechern auch Freiräume gelassen ihre Rolle auszuspielen. Ein Beispiel dafür ist der Streit zwischen Catherine und Katherine der größtenteils improvisiert wurde.

Auch die Zweigstelle in den USA war von den Umstrukturierungen der japanischen Mutterfirma betroffen. Die offensichtlichste Folge der Verschmelzung mit Index Holdings war eine zeitweilige Namensänderung zu Index Digital Media. Nach der Übernahme von Sega erhielten sie ihren alten Namen zurück, stehen seit dem aber unter der Verwaltung von Sega of America. Trotzdem arbeiten Sega und Atlus als getrennte Unternehmeneinheiten, d.h. alle Atlus Franchises blieben der Marke Atlus erhalten.

Ende gut alles gut? Einen kleinen Wermutstropfen gab es vor 2017 aber noch, denn nach unzähligen Lokalisierungen und Veröffentlichungen für alle wichtigen Konsolen und PC wie Arcana Heart2, Etrian Odyssey III, Radiant Historia, Persona 1-5 aber auch Titeln wie Mahjong Cub3d oder 101-in-1 Sports Party Megamix, lief der Vertrieb und die Veröffentlichung in Europa immer noch über Dritte. Wie z.B. Nippon Ichi Software, Deep Silver und NIS America, was bekannterweise den Veröffentlichungstermin um Wochen manchmal gar Monate verzögerte. Um dem entgegenzuwirken, gab Atlus 2017 bekannt nun die eine europäische Vertriebsabteilung zu eröffnen, deren Sitz in Sega Europe‘s Räumlichkeiten in London ist.

© Anastasia Kudinov & Sidonie von Ploetz // Wintersemester 2017/2018